Erntedank - selbstverständlich notwendig - oder eher überflüssig?

Dienstag, 27. September 2022

Mit der Eucharistiefeier - der großen Danksagung - und mit einem Erntedankaltar, der zum Danken anregt, wird auf der Liebfrauenhöhe das Erntedankfest traditionell begangen.
Domkapitular Rieg, der den Gottesdienst in diesem Jahr zelebriert, stellt an den Anfang seiner Predigt zum Erntedankfest die Frage:

"Wir feiern Erntedank – wie jedes Jahr. Selbstverständlich notwendig oder eher überflüssig? "

Und er führt aus:

Die gehörten Lesungen aus der Hl. Schrift noch im Ohr, möchte ich in diese Spannung zwischen notwendig und überflüssig hineindenken. Seneca (römischer Philosoph und Staatsmann zu Lebzeiten Jesus) hat in einer seiner stoisch-heroischen Anwandlungen gesagt: Der Lohn einer guten Handlung liegt darin, dass man sie vollbracht hat. Sprich: da muss man keinen Dank erwarten.

Wofür sollen wir also danken?

Für das Dach überm Kopf? – Dafür haben wir doch selbst bezahlt, den Hausbau oder die monatliche Miete. Für Strom, Wärme, Wasser ebenfalls – da erleben wir gerade unsere Abhängigkeiten und was es kosten kann ...

Für unser Bildungs- und Gesundheitswesen, für das Renten- und Sozialwesen müssen wir Monat für Monat eine erhebliche Menge Steuern und Sozialabgaben hinblättern.

Und für das Geld, das man dazu braucht, haben wir gearbeitet, also eine Gegenleistung erbracht. Und für die Arbeitsstelle haben wir doch eine Ausbildung gemacht oder ein Studium absolviert und uns beworben …

Also ist doch alles das Ergebnis eigener Leistung – oder wenn ich gesamtgesellschaftlich denke: wir leisten uns das und lassen uns es auch ´was kosten. Wofür also sollten wir danken?

Tatsächlich glauben manche, sie brauchen sich bei niemandem bedanken, sie sind schließlich ihres Glückes eigener/alleiniger Schmid.

Danken für das, was uns erspart blieb?

Wenn es uns – selbst in diesen Tagen – so gut geht, sollten wir vielleicht umgekehrt danken für das, was uns erspart geblieben ist. Dass wir hier zufällig keine Wirbelstürme, Dürrezeiten (wenn auch der Sommer sehr heiß und trocken war) oder Erdbeben  mit ihren verheerenden Folgen haben (abgesehen von den kleinen Wacklern des Hohenzollerngraben). Dass wir keinen Krieg und keine Hungersnot haben. Dass wir die CoronaPandemie in den letzten zwei Jahren halbwegs abfedern konnten, auch wenn wir sie nicht voll im Griff haben. Dass wir nicht religiös verfolgt oder weil ohne Zukunft im eigenen Land auf der Flucht sind – ins Ungewisse, mit Hoffnung auf Besseres – wie so viele Menschen – vor allem (aber nicht nur) aus der Ukraine – mehr als 2015.

Doch wem sollen wir dafür danken?

Gibt es da einen Adressaten für meinen Dank - oder geht der nur ins Leere?

Sprichworte zum Dank gibt es wenige, zum Undank dafür umso mehr:

'Wenn die Sonne auf einen Misthaufen scheint, so antwortet dieser mit Gestank.'
'Wenn die Sau satt ist, stößt sie den Trog um! (Niederlanden)'
'Zieh einen Bauern aus dem Dreck und er wird dich zum Dank dafür hineinstoßen.'
'Undank ist der Welten Lohn.'

Doch … wenn nun Letzteres gilt: Undank ist der Welten Lohn, gilt dann umgekehrt: Dank ist Gottes Lohn?

Anlässe zum Dank  und Danken

Vor diesem Hintergrund nochmals die Frage: Warum und wem soll ich danken?

Mein Dank fängt damit an, dass es mich gibt, dass ich nicht nur eine Laune der Natur bin, dass ich angenommen war von meinen Eltern. Meine Existenz ist verdankte Existenz – sie verdankt sich zwei einander und mich liebender Menschen.

Mein Dank geht weiter, wenn ich mich nur recht umschaue.

Dass ich gut und satt zu essen hatte – jeden Tag!, weil das Klima (trotz Rekordhitze und lange ausbleibendem Regen) günstig war und es Menschen gab, die Äcker bestellten, Vieh züchteten und Handel trieben.

Und wenn wir da noch tiefer (besser: höher) schauen, dann werden wir wissen, dass Pflanzen, Tiere und Menschen über die Photosynthese allesamt am Tropf der Sonne hängen; also – bis hin zu Photovoltaik-Anlagen – von einer Energiequelle abhängen, die Menschen nicht selbst gemacht, sondern erhalten haben und – wenn das Bewusstsein da ist – dankbar nutzen dürfen.

Mein Dank geht weiter, weil ich Lesen, Schreiben und Rechnen lernen konnte – bei Lehrern und Lehrerinnen, die genug Geduld mit mir und anderen hatten.

Mein Dank geht weiter, weil es Menschen gibt, die mich mit anderen Menschen verbinden – indem sie Gleise oder Autos, Flugzeuge oder Schiffe bauen, Internetverbindungen knüpfen.

Mein Dank geht weiter und weiter …

… weiter bis zu denen, die mich mit dem Glauben vertraut gemacht haben und mir damit eine Hoffnung geschenkt haben, die dem Leben Sinn und Richtung gibt – eine Hoffnung, mit der man leben und sogar sterben kann.

Wer sich so verdankt weiß, wer so beschenkt ist, kann (ich bin versucht zu sagen: muss) selber schenken, und er weiß dabei, dass er nichts verliert – womit wir beim heutigen Evangelium sind, das wir in den einen Satz zusammenfassen könnten: Es bleibt im Leben nur das, was man verschenkt hat. – im Wissen: Das Totenhemd hat keine Taschen! (vgl. 1 Tim 6,7: Wir haben nichts in die Welt mitgebracht, und wir können auch nichts aus ihr mitnehmen).

Erntedank – Erinnerung und Einladung

So durchdacht, ist für mich Erntedank mehr als rustikale Folklore – oder die Zeit der endlich wieder sattfindenden Volksfeste wie die Wies`n oder der Wasen, das landwirtschaftliche Hauptfest. Es ist nämlich (jährlich notwendige, weil der Mensch eben vergesslich ist – wenn ich von mir ausgehe) Erinnerung an die Vielen, denen wir etwas, und an den EINEN, dem wir letztlich alles und uns alle verdanken.
Und es ist, mit nüchternem Blick auf das heutige Evangelium (Lk 12,15-21), auch eine unmissverständliche Erinnerung / Einladung / Aufforderung: Wenn ich die Ernte meines Lebens einfahren darf und muss, dann mag ich mit meinem Leben vielleicht auch ein wenig Grund zum Danken gegeben haben.

Jesus bringt es mit dem Gleichnis vom reichen Mann auf den Punkt:

Hätte der nicht versucht, durch den Bau größerer Scheunen aus der Superernte etwas zu machen, was (nur) ihn für lange sichert …
… hätte er stattdessen seinen unglaublichen Überschuss verschenkt, er wäre – um es pointiert zu sagen – einer der Helden des Evangeliums geworden.
Dass er vor lauter Getreidesäcken seine eigene Endlichkeit vergisst, das macht ihn – so Jesus – zum Narr, was in biblischer Redeweise soviel heißt wie: zum „Atheisten“ – zu einem der ohne Gott lebt, der nicht mit IHM rechnet, sondern nur mit dem Eigenen rechnet und sich damit verrechnet.
Umgekehrt gesagt: Nur wer seine eigene Endlichkeit nicht vergisst und entsprechend umgeht mit dem, was er erarbeitet, was ihm oder ihr unverhofft zufällt, sammelt Schätze vor Gott.
Am rechten Umgang mit dem selbst Geernteten, mit dem „Zufälligen“ entscheidet sich unser Stehen und Bestehen vor dem Ewigen – und das ist auch eine geistliche Aufgabe: der Hände und der (Lebens)Haltung …

Johannes Chrysostomus, ein berühmter Theologe und Prediger des 4. Jh. (erst kürzlich am 13. September im Heiligenkalender), sagte in einer seiner Predigten: Wie gut Gott es mit uns Menschen meine, lasse sich daran ermessen, dass er uns auch nach dem Sündenfall mehrfach Zeichen seiner Güte belassen habe: Die Blumenpracht, die Liebe und den Sternenhimmel. Ungefähr 900 Jahre später kommentierte Thomas von Aquin diese Chrysostomus-Stelle mit den lapidaren Worten: Johannes hat schon recht mit den Blumen, der Liebe und den Sternen. Aber den Wein und den Käse, die hat er vergessen.

In diesem Sinne Ihnen, uns allen ein gesegnetes Erntedankfest:

Vergessen wir den Schöpfer nicht – verdanktes Leben,
vergessen wir die Verantwortung für die Schöpfung nicht – wir sind Teil von ihr,
vergessen wir die anderen nicht,
und vergessen wir nicht zu genießen und uns zu freuen.
Denn Freude ist auch Ausdruck des Dankes.
Amen."